Was braucht neue Führung in der heutigen Zeit wirklich?
Max Braunleder ist Wirtschaftspsychologe und Head of Marketing & Communications bei der TAM Akademie in Berlin, einer der größten Weiterbildungsakademien im Bereich Führungskräfteentwicklung & New Work in Deutschland. Für den New Performance Blog gibt Max uns einen Ausblick auf das Führungsverständnis von morgen. Benjamins Gastbeitrag für die TAM Akademie kannst Du hier nachlesen.
In der heutigen Zeit gibt es unzählige Führungsphilosophien wie New Leadership, Agile Leadership uvm., die das Thema Führung immer wieder neu beleuchten und durch einen neuen Fokus versuchen, ein Patentrezept für gute Führung zu schaffen.
Häufig bleibt es hierbei jedoch auf der Ideenebene, weil die übergreifende praktische Umsetzbarkeit schlichtweg fehlt.
Im Grunde lässt sich moderne Führung jedoch relativ einfach zusammenfassen:
Führung ist nämlich dann erfolgreich, wenn sie zwei KPIs (Leistungskennzahlen) erfüllt:
Zufriedenheit & Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden
Menschen müssen ihre Tätigkeit als erfüllend und sinngebend empfinden, anstatt jeden Montag aufs Neue zu verfluchen. Und Menschen müssen in der Lage sein, im Arbeitskontext das Maximale an Leistung und Output herausholen zu können, ohne dass es sich nach einem ständigen Burnout anfühlt.
Dass das mit einem immer gleichbleibenden Führungsansatz oder einem einzigen “Führungsstil” kaum erfüllt werden kann, egal, wie modern er auch erscheinen mag, liegt in Zeiten einer sich immer schneller drehenden VUCA-Welt auf der Hand! Moderne Führung muss genauso wandelbar sein, wie die Welt, in der sie sich bewegt.
Die moderne Definition von Führung, auf Basis derer wir in unseren Leadership-Programmen Führungskräfte aus den unterschiedlichsten Bereichen weiterbilden, lautet:
„Führung ist ein kommunikativer Prozess der Einflussnahme auf Mitarbeiter:innen zum Zweck zielgerichteter Leistungserstellung, der sich situativ und individuell an die Mitarbeitenden, Rahmenbedingungen und Problemstellungen anpasst.“
Das bedeutet konkret: Führungskräfte sollen mithilfe von Kommunikation die Mitarbeitenden bei der zielgerichteten Erbringung ihrer Leistung unterstützen. Dafür müssen sie Mitarbeitende befähigen, sich freier zu entfalten, sinnhaft und selbstbestimmt zu arbeiten und ihre persönlichen Werte, Ideale und Motive ins Arbeitsleben einzubringen.
Hierbei müssen Führungskräfte die Mitarbeitenden, die Rahmenbedingungen und alle anderen Aspekte, die darüber hinaus Einfluss auf das einzelne Teammitglied nehmen, individuell betrachten und entsprechend agieren.
Ein kleines aber plakatives Beispiel: Ein Mitarbeiter ist bereits seit vielen Jahren im Unternehmen, bringt überdurchschnittliche Leistungen und scheint in seiner Arbeit maximal intrinsisch motiviert zu sein. Plötzlich bricht die Leistung ein und Projekte gehen den Bach runter.
Als moderne Führungskraft ist es plötzlich nicht mehr nur die Aufgabe, dem Mitarbeiter den Rücken freizuhalten, damit dieser wie immer selbstständig performen kann. Stattdessen muss sie salutogenetisch betrachten, welche inneren und äußeren Faktoren den Mitarbeiter in seiner Leistung einschränken und Wege finden, diese bremsenden Faktoren abzuschwächen oder zu integrieren. Gibt es vielleicht plötzlich einen Pflegefall in der Familie? Gibt es unausgesprochene Konflikte? Fehlen plötzlich Kompetenzen, Wissen oder andere Grundvoraussetzungen? Haben sich die persönlichen Bedürfnisse und Motive geändert?
Long Story short: Moderne Führung passt sich den individuellen Bedingungen der Mitarbeitenden, aber auch denen der Führungskraft an. Und das geht wie folgt:
Moderne Führung: Die 6 Rollen einer Führungskraft
Der erste Teil der modernen, situativen Führung besteht darin, dass eine moderne Führungskraft 6 Rollen innehat, zwischen denen sie flexibel – je nach Situation – hin- und herwechseln muss:
Als disziplinarische:r Vorgesetzte:r ist es die Führungsaufgabe, die Einhaltung interner oder externer Regeln und Prinzipien zu gewährleisten, um das allgemeine Unternehmenswohl zu bewahren (z. B. rechtliche Grundlagen, Corporate Compliance, wichtige Informationsketten usw.).
Als Mitunternehmer:in ist es die Hauptaufgabe einer Führungskraft, die positive Entwicklung des Unternehmens durch das Antreiben von Innovation, durch wirtschaftliche Entscheidungen, Strategieentwicklung oder auch durch das Schaffen neuer Potenziale voranzutreiben.
Die Rolle als Coach oder Mentor:in bringt eine besonders wichtige Führungsaufgabe mit sich: Das Leisten von Hilfe zur Selbsthilfe. Als Coach muss die Führungskraft die Mitarbeiter:innen dabei unterstützen, selbst Lösungen für Probleme zu finden.
Die Aufgabe als Personalentwickler:in ist für Führungskräfte besonders wichtig, um die Leistungsfähigkeit der Teammitglieder zu verbessern und Mitarbeiter:innen zu motivieren. Soft-Skills und Hard-Skills sollten hier gleichermaßen geschult werden. Die (Verbesserungs-) Potenziale und Entwicklungswünsche aller Mitarbeiter:innen zu kennen, ist Grundvoraussetzung für das erfolgreiche Erfüllen dieser Aufgabe.
Auch Fachmann oder Fachfrau zu sein gehört zu den Führungsrollen. Wenngleich die hohe Fachkenntnis nie der alleinige Beweggrund sein sollte, um zur Führungskraft zu werden, muss eine Führungskraft auch das Fachwissen einbringen können, um die Entscheidungsfindung bestmöglich begleiten oder initiieren zu können.
Zuletzt birgt auch die Rolle des Faciliators essenzielle Führungsaufgaben, um Individuen, Teams und letztendlich die gesamte Organisation zu befähigen. Die Aufgabe der Führungskraft als Facilitator ist es, schlechte Prozesse oder andere Barrieren, die das Team oder das Unternehmen einschränken, aus dem Weg zu räumen und so die freie Entfaltung zu ermöglichen. Gerade in Unternehmen, deren Kultur eher der “Old Work” als der New Work zugeordnet werden kann, nimmt die Rolle des Facilitators bei modernen Führungskräften sehr viel Zeit, Energie & Fokus in Anspruch.
Das situative Wechseln zwischen diesen Rollen gehört zu den wichtigsten Skills einer modernen Führungskraft, da sie so die Herausforderungen von sich selbst – und besonders die der Mitarbeitenden – aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und bestmöglich als Führungskraft wirken kann.
Neue Führung braucht Rollen-Integrität
Es kommt bei der Wahrnehmung der Rollen einer Führungskraft nicht nur immer auf die richtige Rolle in der jeweiligen Situation an, sondern auch darauf, wie integer sie mit diesen Rollen umgeht.
Eine Führungskraft darf die eigenen Rollen nicht manipulativ zu ihrem Vorteil nutzen und sollte den Mitarbeitenden auch stets mitteilen, in welcher Rolle sie gerade zu ihnen spricht. Dann ist sie auf einem sehr guten Weg, Transparenz und Berechenbarkeit, zwei der wichtigsten Faktoren für psychologische Sicherheit, zu schaffen.
So kann sie das Erwartungsmanagement der eigenen Rollenwahrnehmung aktiv steuern und Mitarbeitenden ein Gefühl der psychologischen Sicherheit vermitteln. Und psychologische Sicherheit ist empirisch erwiesen eine der wichtigsten Bedingungen für Leistung und Zufriedenheit.
Moderne Führung braucht Performance Leadership
Dass Arbeitsleistung und Zufriedenheit direkt zusammenhängen, ist vielfach empirisch belegt (vgl. Judge et al., 2001). Oft wird moderne Führung mit dem Überlassen in die Selbstverantwortung gleichgesetzt. Doch nicht jeder Kontext gibt es her, dass ALLE Mitarbeitenden uneingeschränkt sich selbst überlassen werden können. Deshalb ist es auch in der modernen Führung von heute unglaublich wichtig zu verstehen, wie man Mitarbeitende zu der Zielkombination aus Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit motivieren kann.
Die Leistung von Mitarbeitenden ist ein Zusammenspiel von den individuellen Fähigkeiten, der individuellen Rollenwahrnehmung (weiß ich, was zum perfekten Ausfüllen meiner Rolle alles dazugehört?) und dem Engagement.
Eine Führungskraft kann also, um Leistung zu steigern, die Fähigkeiten der Mitarbeitenden weiterentwickeln, sie in der eigenen Rollenwahrnehmung unterstützen und sie durch extrinsische – aber vor allem auch intrinsische – Belohnungsstrukturen zu mehr Engagement bewegen.
Das führt schlussendlich zu mehr Outcome, einem größeren persönlichen Impact und somit auch zu mehr Zufriedenheit.
Fazit
Wenn man die Frage “Was braucht moderne Führung in der heutigen Zeit wirklich” beantworten möchte, ist es vermutlich am einfachsten, die Definition der modernen Führung mit den genannten Tools zu verbinden:
Moderne Führung ist ein kommunikativer Prozess der Einflussnahme auf Mitarbeiter:innen zum Zweck zielgerichteter Leistungserstellung, der sich situativ und individuell an die Mitarbeitenden, Rahmenbedingungen und Problemstellungen anpasst. Dies geschieht unter anderem durch den integeren und transparenten Einsatz der 6 Führungsrollen, durch das Schaffen psychologischer Sicherheit und durch das Verstehen und Verwenden von Mechanismen zur Performance- und Motivationssteigerung.